Search

Multifunktionswunder - Süddeutsche Zeitung

marketsmd.blogspot.com
Iris Mayer

Iris Mayer, ist seit Anfang 2019 Nachrichtenchefin der SZ und selbst täglich gefordert, Multifunktionswunder zu vollbringen, entweder im Großraumbüro im SZ-Hochhaus oder seit der Corona-Krise auch im Home-Office.

(Foto: SZ)

An welchen Kriterien machen Sie eine gute "im Stil der SZ" gelungene Überschrift fest?

Philipp Herrlich

Eine gute Überschrift ist ein kleines Multifunktionswunder, denn sie erfüllt viele Anforderungen auf einmal, und dies auf wenig Platz. Eine gelungene Zeile bringt komplizierte Sachverhalte auf den Punkt und verkürzt, ohne zu verzerren. Sie macht klar, auf welche Art von Text sich Leserinnen und Leser freuen dürfen. Eine Nachricht wird in der SZ anders getitelt als eine Reportage oder ein Kommentar. Eine gelungene Überschrift regt zum Lesen an und manchmal sogar zum Schmunzeln - und sie muss natürlich zum Bild passen.

Eine meiner liebsten Zeilen haben in diesem Jahr die Kolleginnen von der Seite Drei getextet. In der Corona-Hochphase Mitte März besuchte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Logistikhalle eines Großhändlers. Die Reportage beschreibt, wie Söder in der Krise seinen Kurs findet, auch durch mehr oder weniger geschickt inszenierte Fototermine. Die Überschrift hieß: "Ein Mann für jede Rolle", darüber sah man Söder generalfeldmarschallartig dreilagiges bayerisches Klopapier der Kategorie ultrasoft abschreiten.

Bei Nachrichten geht es humorloser zu. "Putin-Kritiker Nawalny im Krankenhaus" titelte die SZ am 21. August. Der Verdacht eines Giftanschlags stand schon im Raum, belastbare Indizien gab es noch nicht. Die Unterzeile zum Aufmacher transportierte daher nüchtern den Sachstand. "Die Sprecherin des 44-Jährigen geht davon aus, dass der russische Oppositionelle mittels einer Tasse Tee vergiftet wurde. Die Ärzte prüfen eine Reihe möglicher Diagnosen." Kein Grund zum Schmunzeln, aber alles korrekt und damit gelungen für eine Nachricht.

Es gibt auch SZ-Texte, die unterschiedlich getitelt werden, je nachdem, ob sie gedruckt oder auf unserer Homepage erscheinen. Das trifft vor allem auf Kommentare zu. Auf der gedruckten Meinungsseite muss aus Platzgründen oft ein Wort reichen. "Restrisiken" betitelten die Kolleginnen da den Vorschlag des Virologen Christian Drosten, im Notfallmodus bei Corona-Verdacht nur noch fünf statt 14 Tage Quarantäne zu verhängen. Für die Homepage lief derselbe Text unter der Überschrift "Zeit, das Restrisiko einzugehen".

Nicht zu unterschätzen sind die internen Botschaften, die SZ-Überschriften im Arbeitsstadium transportieren, und die hoffentlich kein Leser je zu Gesicht bekommt. Für die erste Druckausgabe, die die Redaktion gegen 17 Uhr abgibt, schreiben Autorinnen im Laufe des Tages gelegentlich Zwischenstände an die Kollegen ins Überschriftenfeld. Da steht dann "noch nicht fertig, schreibe um 15.30 Uhr weiter" oder "Einstieg kommt aus Brüssel", wenn ein Text aus den Zulieferungen mehrerer Büros entsteht. Manch Kollege weiß geschickt Neugier zu wecken, mit dem Arbeitstitel "Zeug", und für den Fall, dass schon jemand redigieren möchte, der Autor aber noch nicht fertig ist, mit dem Zusatz "Finger weg". irm




September 10, 2020 at 11:54PM
https://ift.tt/3m9Jgpl

Multifunktionswunder - Süddeutsche Zeitung

https://ift.tt/2YSeTtL
Werkstatt

Bagikan Berita Ini

0 Response to "Multifunktionswunder - Süddeutsche Zeitung"

Post a Comment

Powered by Blogger.